Beschluss der zweiten Tagung des XIII. Bundeskongress am 9. Mai 2021
Die Aktions- und Organisationsformen von XR sind brandgefährlich für (junge) Aktivist*innen. Sie tragen eher dazu bei, das personelle Potential der Klimabewegung zu vermindern, als es zu vergrößern. Von den undurchsichtigen, wenig demokratischen Organisationsstukturen, einmal ganz abgesehen: Wenn XR online sensible Daten über die eigenen Leute zusammenträgt, ihr Aktionspotential abfragt, damit es die Geheimdienste nicht mehr selbst machen müssen, ist das in Zeiten, in denen in manchem Bundesland bereits Gefährder in Unendlichkeitshaft genommen werden können, geradezu eine Zuarbeit zur Repressionsmaschinerie.
Noch drastischer wird das nur in der „red handed“-Aktion, bei der direkt dazu aufgefordert wurde, sich den Sicherheitsbehörden auszuliefern – einfach nur, weil es einem dummen Wortspiel entspricht. Aber auch die Solidarisierungen mit der Polizei, während gleichzeitig Aktivist*innen die Solidarität entzogen wurde, weil sie sich im Angesicht von Repressionsmaßnahmen unhöflich geäußert haben, deutet in diese Richtung.
Daraus spricht aber mehr als eine übertriebene Hingabe zu Symbolen und Metaphern, nämlich eine Ideologie der Aufopferung. Der Aufruf zum „Klimahungerstreik“, bei dem sich junge Aktivist*innen körperlich selbst schaden und noch Gesundheitsschäden in Kauf nehmen sollen, dürfte das deutlichste Beispiel dafür sein. Es ist ebenso erschreckend wie konsequent, dass Teile von XR, die sich einem totalitären Zweck -nicht weniger als das eigene Aussterben zu verhindern – vollständig unterwerfen, dafür auch bereit sind, junge, engagierte Menschen zu verheizen.
Aber schon ihre Sprache zeigt, dass XR das Bedürfnis nach Selbstaufopferung ansprechen will. Danach, im Angesicht viel zu großer, gesellschaftlicher Probleme, die kein Einzelner lösen kann, sich durch Selbstaufopferung dennoch als Held fühlen zu können. Das Märtyrertum von XR ist letztlich nicht weniger eitel als die Idee, das Klima an der Supermarktkasse retten zu können – aber vor Allem genauso nutzlos. Dabei besteht die fast unlösbare Aufgabe „darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.“
Wir brauchen keine Helden: Wir brauchen einen Systemwechsel und vor Allem brauchen wir nicht nur einen Plan, wie klimaneutrales Wirtschaften möglich werden kann, dieser muss auch umgesetzt werden. Dafür braucht es nicht nur handlungsfähige Aktivist*innen – also außerhalb von Gewahrsamszellen und Intensivstationen – sondern Unterstützung aus breiten Teilen der Bevölkerung.
Statt bedeutungslosen Symbolen, braucht es Aktionen, die bereits auf das hindeuten, was man bewirken will. Wenig hilfreich waren dabei die Bilder aus Großbritannien, bei denen XR-Aktivisten in Hemd und Sakko Pendlerzüge in einem Arbeiterviertel blockierten: Dass diese Leute schon das klimaverträglichste verfügbare Transportmittel nutzten, aber vor Allem auch von ihrer Arbeit abhängig sind, ihr Überleben tatsächlich davon abhängt, schien den Rebellen gegen das Aussterben an dieser Stelle ebenso egal, wie die unglückliche, aber bezeichnende Symbolik ihrer Aktion.
Für diejenigen, die haben, ist Verzicht kein Problem. Für diejenigen, die bereits jetzt nichts bis wenig haben, ist es Verzicht dagegen keine Option, um das Klima zu retten. Dabei sind sie es auch, die als erste und am schärfsten unter den Folgen des Klimawandels zu leiden haben werden. Es ist gleichzeitig wenig verwunderlich, dass sie wenig Verständnis dafür haben, ihr wirtschaftliches Überleben heute zu opfern, damit Wohlhabendere morgen noch einen Planeten haben.
Dass die Aktionen von XR nirgendwohin zu führen scheinen, hat aber auch einen einfachen Grund: Inhalte sucht man vergebens. Protest wird zum Selbstzweck, der irgendwie darauf gerichtet sein soll, das Klima zu retten. Die inhaltliche Beliebigkeit offenbart, dass Extinction Rebellion auch offen für Menschenfeinde sein möchte, da jede*r mitmachen kann, auch wenn er oder sie „ein bisschen sexistisch oder rassistisch“ ist. Noch dazu kommen die Holocaustrelativierenden Aussagen des Mitbegründers Roger Hallams. Zwar distanziert sich der deutsche Ableger von diesen Aussagen, aber das ist ein weiterer Hinweis, dass Extinction Rebellion ganz offensichtlich schon im Ursprung ein Problem hat. Im besten Fall bleibt XR politisch-inhaltlich beliebig und so heißt es auf der deutschen Webseite der Bewegung, die Lösungen gebe es ja schon längst, die Regierungen müssten sie nur umsetzen. Im schlimmsten Fall verbirgt sich dahinter eine Vorstellung von esoterischer Tiefenökologie, die den Klimaschutz als „spirituelle“ Frage verhandelt und daher auch nicht auf reale Veränderung angewiesen wäre. Am Ende bleibt eine politische Selbstentmündigung, die nicht für konkrete Ziele und Inhalte streitet, daher auch nicht auf die Diskussion angewiesen ist, wie das Klima zu retten sein könnte, sich also auch der sozialen Frage nicht stellen muss, sondern auf die Errettung durch eine Autorität hofft und dieser die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse überlässt. Dabei „rettet uns kein höh’res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen können wir nur selber tun!“