LSp*R Brandenburg

Aus jeder Krise ergibt sich ein historisches Möglichkeitsfenster. Einige Widersprüche der kapitalistischen Wirtschaftsweise werden in Frage gestellt – es gibt es jetzt eine Debatte um die Relevanz von schlecht bezahlten und dringend notwendigen Berufen. In der Corona-Krise wird deutlich, dass der Markt soziale Ungleichheiten verstärkt. Die zu erwartende Rezession und die Erkenntnis, dass jahrelang am Gemeinwohl gespart wurde, könnte eine Debatte um Entprivatisierungen, Umverteilungen und Lohngerechtigkeit für alle anstoßen. Sozialdemokrat*innen, Regierungen und Wirtschaft reagieren darauf bereits mit dem Versprechen von Bonuszahlungen für Pflegekräfte und Maßnahmen zum „Ankurbeln“ der Wirtschaft. Das Asylrecht wurde kurzerhand ausgesetzt, wie üblich ohne Aufschrei. An die Zivilgesellschaft wird appelliert, „zusammen zu halten“, was sich angesichts flächendeckender Verbote bzw. oft ohne Zusammenhang zum Infektionsschutz verhängte Erschwerung von Demonstrationen in politischer Hinsicht als unzulänglich erweist. Von einer dauerhaften Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist jedenfalls nicht die Rede. Vielmehr sind viele Menschen mit einem Freizeit-Lockdown bei gleichzeitigen Corona-Partys am Arbeitsplatz einverstanden.

Und wir?

Unsere Aufgabe als antikapitalistischer Jugendverband ist es, zu vermitteln, dass sich trotz aller Widrigkeiten alles grundlegend zum Besseren ändern kann. Doch wie sollen wir aus der Corona-Krise gestärkt hervorgehen oder gar unserer Utopie näher kommen?

Für unsere Strategie-Debatte könnte die Aufarbeitung der letzten Krise eine Diskussionsgrundlage bilden: in der „Finanzkrise“ 2008 und 2009 entstanden neben „Occupy Wallstreet“ auf dem ganzen Planeten Bewegungen, die die Misswirtschaft des Finanzkapitalismus anprangerten und für eine Umverteilung des globalen Reichtums stritten. Als linksjugend [’solid] haben wir uns auch in den Folgejahren noch am europäischen Bündnis „blockupy“ beteiligt. Doch die Bewegung schrumpfte, während der Niedriglohnsektor und Befristung sich ausbreiteten und Banken gerettet wurden. Vielleicht war es zum Beispiel ein Fehler, an Regierungen und Co. zu appellieren, auf deren Reaktion dann ohne weitere Perspektive gewartet wurde. Vielleicht hätte mensch stattdessen versuchen müssen, die Bewegung auf alle Wirtschaftsbereiche auszuweiten.

Die linke Geschichte in Deutschland zeigt, dass wir unsere Inhalte nicht vermitteln können. Die Vorstellung einer Welt jenseits des Kapitalismus fällt ja auch uns selbst schwer. Zugleich ist es unbefriedigend, sich in die Formulierung konkreter Forderungen zu verlieren oder angesichts mangelnder Perspektive in kleinen Verbesserungen zu verzetteln. Wir versuchen, uns bei jeder Kleinigkeit auf unsere Utopie zu beziehen oder doch wenigstens darauf hinzuweisen, dass die Ursache für das konkrete Problem in der kapitalistischen Wirtschaftsweise liegt. Viele neue Mitglieder konnten wir damit bisher ja auch überzeugen. Diese berichten uns von der politischen Resignation ihrer Mitschüler*innen und dem fehlenden Überblick in der politischen Landschaft. Nicht selten heißt es: „Politik ist viel zu kompliziert. Und an den ganzen Problemen ändert sich doch eh locker nichts.“ An unseren Inhalten liegt es also nicht, vielmehr ist Politik insgesamt uncool und linke Themen kommen einfach kaum vor.

Unsere Praxis!

Allerdings braucht die Linksjugend [’solid] für eine nachhaltige Vermittlung ihrer Inhalte eine nachvollziehbare, emanzipatorische Praxis, die für Jugendliche positiv erfahrbar ist. Dazu gehört vor allem eine gute Vernetzung mit anderen jungen Menschen. Leider funktionieren wir vielmehr wie 16 verschiedene Landesverbände mit verschiedenen Basisgruppen, als als ein Bundesverband. Diese Eigenständigkeit ist für unser basisdemokratisches Prinzip sehr wichtig, kann aber auch zu einem für Außenstehende unklaren Auftreten führen. Dem könnte ein lebendiger, aktiver Bundesverband entgegen wirken. Aber: Der Bundesverband besteht für viele Mitglieder aus nur wenigen jährlichen Highlights wie dem Sommercamp und dem Bundeskongress sowie teils unscheinbaren, aber mit wichtigen Aufgaben betrauten Gremien wie dem BSpR und dem Länderrat. Diese wichtigen Gremien können nicht die Arbeit eines ganzen Verbandes stemmen. Wir brauchen dringend das Bundesjugendplenum als Debattenort für Genoss*innen aus allen Landesverbänden, das wir auch nach der Pandemie in ursprünglich gedachter Form weiterführen sollten. Dabei müssen wir uns davor hüten, uns nur mit uns selbst zu beschäftigen, sondern sollten vor allem Strategien entwickeln, die das große Ganze im Blick behalten. Wichtig dabei ist, dass jede*r Genoss*in mitreden kann, ohne über ein riesiges Vorwissen zu verfügen. Denn im Moment finden die innerverbandlichen Debatten aus organisatorischen Gründen nur sehr kurz, oder sehr abfällig in der facebook-Gruppe statt. In der Regel ähneln die Diskussionen so eher Schlammschlachten zwischen verfeindeten Lagern, die nie den Anspruch haben, einander zu überzeugen. Attraktiver wäre eine linksjugend [’solid], die über starken Zusammenhalt funktioniert und ihren Pluralismus respektvoll lebt.

Was uns nämlich von den politischen Kampagnen unserer Zeit unterscheidet, ist der gesamtpolitische Ansatz und die Vielzahl möglicher Arbeitsschwerpunkte und Organisation. Wir sind eben kein monothematisches, zeitlich begrenztes Bündnis, sondern ein Ort zur dauerhaften Organisation mit dem Anspruch, die gesamtgesellschaftliche Situation grundlegend zu ändern. Unser sekundäres Ziel ist daher die Vernetzung und Bündelung der gesellschaftlich relevanten Konflikte.

Auf die Straße!

Damit das klappen kann, dürfen wir nicht den selben Fehler wie die uns nahe stehende Partei machen: Wir dürfen unseren Blick nicht auf den Parlamentarismus versteifen. Die Mitwirkung im Parlament sollte ein Mittel zur Durchsetzung der in den sozialen Bewegungen erdachten Ideen sein. Schließlich sind es gesellschaftliche Bewegungen wie FridaysForFuture, die den gesellschaftlichen und politischen Diskurs nachhaltig verändern; ohne das Tribunal „NSU-Komplex auflösen“ hätte es keine Aufarbeitung der Unterstützung von Nazis durch den rassistisch agierenden Staat gegeben, ohne #saytheirnames wären die Anschläge in Hanau und Co längst vergessen. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir Teil dieser Bewegungen sind und sein sollten. Unseren gesamtpolitischen Ansatz sollten wir auch in Bündnissen selbstbewusst vertreten und sichtbar auftreten. Solidarisch miteinander vernetzt zu sein kann uns alle unseren gemeinsamen Zielen näher bringen.

 

 

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