Carla Büttner und Paul Gruber

Für einen linken Futurismus

Wir wollen gleich zu Beginn feststellen: Der politischen Linken, und damit auch uns, fehlt eine Begeisterung für die Zukunft. Wer keine Begeisterung (für die Zukunft) miteinander teilt, der kann diese auch schlecht transportieren. Wen will man begeistern, wenn man selbst keine wirkliche Vorstellung von der eigenen Zukunft hat. Auch wenn wir es vielleicht nicht offen zugeben wollen, so trauern wir doch des Öfteren der Vergangenheit hinterher. Zeiten, in denen eine hohe gewerkschaftliche Organisierung als Standard galt, in denen öffentliche Daseinsvorsorge noch nicht unter dem Privatisierungshammer lag, oder ganz einfach gesagt, der Neoliberalismus noch nicht als herrschende politische Agenda fungierte. Doch eigentlich ist eine mangelnde Zukunftsbegeisterung auch gut begründbar. Der Neoliberalismus hat eine fast völlig entsolidarisierte Gesellschaft geschaffen, die politische Rechte und der Nationalismus greifen nach der Macht und der Klimawandel schreitet voran. Darüber hinaus haben wir als politische Linke weiterhin keine schlagfertigen Vorstellungen davon, wie wir die Digitalisierung nutzen wollen.

Nutzen ist dabei genau das richtige Wort. Oft hören wir von allen politischen Seiten, dass man irgendwie auf die Digitalisierung reagieren oder im Zweifel einen Umgang damit finden sollte. Wir finden es braucht endlich einen progressiven Umgang mit diesem Thema. Wir sollten nicht der Digitalisierung dienen, die Digitalisierung sollte uns dienen und so helfen, Probleme aus linker Perspektive zu lösen. Am Ende steht immer der Mensch. Welchen gesellschaftlichen Wert hat ein digitaler Fortschritt, wenn wir keinen politischen Weg finden, der dafür sorgt, dass nicht Überwachung, Ausbeutung und individuelle Selbstvermarktung die Produkte dieser Entwicklung sind. Deswegen sollte Digitalisierung nicht als Selbstzweck gesehen werden, sondern als Mittel für unsere Zwecke. Ein Mittel zur Arbeitszeitverkürzung, zur Barrierefreiheit, zur Teilhabe und Transparenz oder schlicht zur Vereinfachung der Alltags- und Arbeitswelt. Doch so, wie es derzeit läuft, dient die Digitalisierung eher der Verwirklichung einer Dystopie. Daten werden zur neuen Währung und liegen in der Hand von wenigen Konzernen. Demokratische Kontrolle ist Fehlanzeige. Doch auch der Staat witterte längst seine Chance und nutzt die digitalen Kommunikationswege für die Überwachungsprogramme seiner Geheimdienste. Der/die einzelne Nutzer*in funktioniert hier nur noch als mundtotes Objekt. Ein Blick nach China zeigt bereits das Schreckensszenario: Gesichtserkennungssoftware, Social-Credit-System und Spionageapps sind nur ein trauriger Ausdruck einer dystopischen digitalen Gesellschaft. Daher brauchen wir als politische Linke mehr denn je eine Perspektive für eine digitale Zukunft. Wie könnte unsere digitale Agenda aussehen? Es ist bei weitem nicht so, dass hier von Null begonnen werden müsste: Konzerne, wie Facebook oder Google, müssen vergesellschaftet werden, Software muss Open-Source sein, digitale Selbstverteidigung muss im Bildungssystem vermittelt werden, … Die Liste könnte noch länger sein. Doch es reicht nicht das Richtige zu fordern. Wir müssen als Linke den digitalen Raum stärker besetzen und nutzen. Machen wir ihn selbst als Mittel zum Zweck. Viele reden davon, dass die Digitalisierung dazu führen könnte, dass „die Roboter uns die Arbeitsplätze wegnehmen“. Doch könnte es nicht auch eine Möglichkeit sein, um weniger arbeiten zu müssen? Warum sollten Menschen immer noch 40 Stunden arbeiten, während man vieles digital ersetzen könnte. Wie wäre es mit mehr Freizeit bei gleichem Einkommen?

Während der Zeit der Corona-Pandemie wird es noch einmal stärker deutlich, dass viele Menschen nur über ihren Job definiert werden, sich viele aber auch selbst nur über ihre Arbeit

definieren. Menschen wissen teilweise nicht mehr wie sie ihre freie Zeit verbringen sollen. Deswegen sollte wieder darüber debattiert werden, wie man Zeit und besonders Freizeit überhaupt definiert. Für viele Menschen, besonders Frauen*, ist es aber eben auch oft so, dass die Zeit nach der Arbeit keine wirklich freie Zeit ist, sondern dass sie dort weiter Arbeit leisten müssen in Form von unbezahlter Care-Arbeit. Dieses ungleiche Verhältnis sollte so schnell wie möglich strukturell angegangen werden. Alle Menschen brauchen freie Zeit für sich, um Hobbys auszuüben, um sich (weiter-) zu bilden oder einfach nichts zu tun. Als Sozialist*innen fordern wir deshalb zu Recht die Abschaffung des Systems der Lohnarbeit. Ohne den Verkauf unserer Arbeitskraft sind wir unter kapitalistischen Verhältnissen nichts: kaum Teilhabe an der Gesellschaft, Existenzängste, wachsende Schuldenlast und psychische Erkrankungen sind die Folgen. Nur leben um zu (lohn)arbeiten?! Das muss der Vergangenheit angehören! Doch auch im Hier und Jetzt müssen wir als Linke für ein erstes Projekt einstehen, welches vielen Menschen zumindest aus der puren Existenzangst und dem damit verbundenen Arbeitswahn heraushilft. Das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) kann dieses Projekt sein, wenn wir es mit einer Vermögensumverteilung finanzieren. Niemand kann sagen, dass mit der Einführung eines BGE der Kapitalismus überwunden wäre. Dennoch hat der Neoliberalismus in den letzten Jahrzehnten Reformen durchgesetzt, mit denen die Existenzangst der Menschen gestiegen ist. Unsere Antwort kann es doch nicht sein, dass wir das alles bloß wieder rückgängig machen müssen. Wir brauchen kein Zurück in die Vergangenheit, sondern ein neues linkes Projekt für die Zukunft. Es kann nur ein weiterer Schritt sein, die Kämpfe um’s Ganze braucht es dennoch.

Die nächsten Monate und Jahre werden mit hoher Wahrscheinlichkeit von Verteilungskämpfen geprägt sein. Durch die Corona-Pandemie ist eine neue ökonomische Krisensituation entstanden und es ist gut möglich, dass diese Krise noch stärker einschlagen könnte, als die Finanzkrise 2008. Für uns ist klar, dass nur mit einer Vermögensumverteilung von oben nach unten und einer Rücknahme von Privatisierungen, der Krise begegnet werden kann. Die Automobilindustrie wittert bereits ihre Chance und fordert eine neue Autokaufprämie. Selbstverständlich müssen wir solche Ideen zurückweisen, jedoch dürfen wir uns in der nächsten Zeit nicht nur auf Abwehrkämpfe beschränken. Es geht um nicht weniger als eine sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft. Fordern wir eine Welt ein, die eine lebenswerte Grundlage für alle Menschen darstellt. Der bereits voranschreitende Klimawandel wird mehr denn je die soziale Ungleichheit sichtbar machen. Wer kann sich in Zukunft noch ein lebenswertes Umfeld leisten? Flucht – und Migrationsbewegungen werden unvermeidlich zunehmen. Den Nationalstaat und das Abschottungssystem der EU müssen wir daher konsequent ablehnen. Stärker denn je sollten wir daher an einer schlagfertigen europäischen Linken arbeiten, die ein gemeinsames Projekt teilt. Die Zukunft sollte der sozialistischen Republik Europa gehören.

Für das gute Leben! Für den Sozialismus!

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