„Nein, nein, das ist nicht der Kommunismus“ – Gegen Stalin, Mao und autoritäre Sozialismusvorstellungen

In der linkspolitischen Landschaft der Bundesrepublik erblickte vergangenen Jahres ein totgeglaubter Politzombie das Tageslicht: der Maoismus. Besonders zwei Gruppen erregten, sowohl in der bürgerlichen Presse als auch in der linken Szene, Aufmerksamkeit: Der Revolutionäre Aufbau und der sogenannte Jugendwiderstand. Diese beiden Gruppierungen stehen symptomatisch für die Renaissance autoritärer Sozialismusvorstellungen, welche für uns als emanzipatorische Linke ein Problem darstellen. Im Folgenden werden wir einige Einwände gegen die Ideologie der beiden Gruppen im Kontext der tatsächlichen Bewegungsgeschichte erheben um dann anschließend die für uns daraus hervorgehenden Einwände und Schlüsse für unseren Verband festzulegen.

Stalinismus
Mit der Machtübernahme Stalins wurde den progressiven Momenten der Oktoberevolution ein jähes Ende bereitet. Die Sowjetunion entwickelte sich zu einer totalitären Diktatur. Der stalinistische Terror gegen die tatsächlichen oder vermeintlichen Gegner_innen Stalins richtete sich dabei gegen die Bevölkerung: Trotzkist_innen, ausländische Kommunist_innen die vor Verfolgung geflohen waren, Großbauern und willkürlich als solche deklarierte, Geistliche und ethnische Minderheiten wurden verhaftet, in Schau- und Geheimprozessen zu Zwangsarbeit verurteilt oder hingerichtet, Millionen Sowjetbürger_innen in Gulags deportiert. Viele wurden dort getötet oder kamen durch die unmenschlichen Bedingungen ums Leben.

Die vorher errungenen Erfolge der Frauen- und Homosexuellenemanzipation verkehrten sich in ihr Gegenteil: Ab 1933/34 galten homosexuelle Handlungen nach Paragraph 154a StGB der RSFSR als eine Straftat. Homosexuelle wurden seither wieder in der Sowjetunion verfolgt, weibliche Homosexualität wurde gar als Persönlichkeitsstörung eingestuft. Ebenso wurden in diesem Zuge 1934 Abtreibungen in der Sowjetunion illegalisiert.

Stalinismus steht somit konträr zu den Idealen des Pluralismus und von individueller Freiheit und Selbstbestimmung. So wurde die Welt Zeuge, wie während der Moskauer Prozesse die Opfer derselben als willige Helfershelfer_innen agierten und in ihren „Geständnissen“ die freien Erfindungen der Staatsanwaltschaft tendenziell überboten. Das Argument dem sich alle beugten lautete: „Wenn du wirklich […] für die Sowjetregierung bist, dann kannst du es augenblicklich nur dadurch beweisen, dass du die Geständnisse ablegst, die die Regierung von dir verlangt, weil sie in diesem Zeitpunkt solche Geständnisse braucht.“ [1]

Maoismus
Die Volksrepublik China war während der gesamten rund dreißigjährigen Herrschaft Mao Tse- tungs ein wirtschaftlich ineffizientes, von politischen Verfolgungen gezeichnetes und bis 1972 außenpolitisch weitgehend isoliertes Land.

Dennoch sollte man, wird über den Maoismus geredet, nicht verschweigen, dass er aus der spezifischen historischen Situation entsprang, sich gegen die rechten Antikommunist_innen der Kuomintang zu stellen. Diese Errungenschaft (Gewinnen des Chinesischen Bürgerkriegs) wollen wir ihm nicht absprechen. Was uns jedoch als augenfällig notwendig erscheint, ist die Betonung, Kritik und Ablehnung der menschenverachtenden und kompromisslosen Härte, mit der gegen vermeintliche Gegner_innen vorgegangen wurde. Auch muss festgehalten werden, das die Modernisierung des Landes im Zuge des „Großen Sprung nach Vorn“ mehrere Millionen verhungerte Landarbeiter_innen zur Folge hatte. Als die Nachricht von den Hungersnöten in Peking ankam, kommentierte Mao dies wie folgt: „Wenn es nicht genug zu essen gibt, verhungern die Menschen. Es ist besser, die Hälfte der Menschen sterben zu lassen, damit die andere Hälfte genug zu essen hat.“[2]

Auch an folgendem Beispiel lässt sich der maoistische Irrsinn gut skizzieren: Um die Produktivität der Landwirtschaft zu steigern, wurde die „Große Spatzenkampagne“ ausgerufen. Im Zuge dieser wurden circa zwei Millionen Vögel getötet. Als nach diesem rapiden Populationsrückgang China von Insektenplagen heimgesucht wurde[3], importierte man kurzerhand Vögel aus der Sowjetunion.

Der gelebte Antiintellektualismus während der sogenannten „Kulturrevolution“ liegt uns als emanzipatorischen Linken in besonderem Maße fern. Im Zuge dieser schwänzten die Jugendlichen Schulen und Universitäten, schlossen sich zu Roten Garden zusammen, töteten und misshandelten zahlreiche Menschen – insbesondere Menschen mit Bildung (Lehrer_innen, Ärzt_innen, Künstler_innen, Geistliche, Parteikader_innen) –, zerstörten Kulturdenkmäler, Tempel, Bibliotheken und Museen und bekämpften sich sogar untereinander.

Wie lässt sich der Kampf um die Köpfe der Bevölkerung führen, wenn diese mit Kommunismus Gulag und Massensterben verbinden?
Sowohl der Revolutionäre Aufbau, als auch der Jugendwiderstand affirmieren offen die stalinistischen und maoistischen Schrecken. Auch Drohungen und tätliche Angriffe gegen andere Linke gehören zur politischen Praxis.

Mit Parolen und Losungen wie „Nur der Griff der Massen zum Gewehr, schafft den Sozialismus her!“, „Kommunismus ist nicht Liebe. Kommunismus ist der Hammer, mit dem wir den Feind zerschlagen.“ (Mao) und „Wir wollen mit unserer Kultur Krieger erziehen und nicht einen Haufen verballerter Junkies, die am nächsten Morgen auf der Demonstration kaum grade stehen können, falls sie überhaupt erscheinen.“ stehen sie in der Tradition des maoistischen Konzepts vom Volkskrieg. Dieses Konzept halten wir nicht nur darum für problematisch, weil es eine apokalyptische Endschlacht zwischen Bourgeoisie und Proletariat heraufbeschwört, sondern auch deshalb weil uns die Vorstellung der bewaffneten Masse in Hinblick auf die Vergangenheit gruselt.

Als linker Jugendverbandes halten wir nichts davon zum Töten unserer Gegner_innen und zur Gewalt gegen andere Linke aufzurufen. Vielmehr sehen wir unsere Aufgabe in der Befähigung der Menschen durch Bildung im Sinne eines marx’schen Humanismus in einen wahrhaft menschlichen Zustand – in dem „alle Verhältnisse [umgeworfen sind], in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“[4] – hinüberzutreten, in welchem als gesellschaftlicher Grundsatz gilt: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“[5]

Daher ergeben sich folgende Punkte für das politische Profil unseres Jugendverbandes:
1) Die Linksjugend [’solid] distanziert sich von oben genannten stalinistischen und maoistischen Gruppen.
2) Die Linksjugend [’solid] beschließt eine generelle Unvereinbarkeit mit stalinistischer und maoistischer Ideologie und bekräftigt ihren Abstand zu autoritären Sozialismusvorstellungen, da sie unseren Verbandsgrundsätzen (Pluralismus, Basisdemokratie, Selbstbestimmung, Antisexismus) entgegenstehen.

[1] Anton, Ciliga: The Russian Enigma, S.153. zit. nach: Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, S.661.

[2] Alexander V. Pantsov/ Steven I. Levine: Mao. Die Biographie. Online: https://books.google.de/books?id=C05tAgAAQBAJ&pg=PT589&lpg=PT589&dq#v=onepage&q&f=false ; zuletzt überprüft am 07.04.2017.

[3] „Ich erinnerte mich an einen Tag, an dem die ganze Bevölkerung nichts anderes machte, als mit Gongs und Töpfen und allen möglichen anderen zum Krachmachen geeigneten Gegenständen auf den Straßen und in den Höfen herumzulaufen, um die Spatzen aufzuscheuchen. Den ganzen Tag war so laut gescheppert worden, dass die Vögel sich nirgends niederlassen konnten und schließlich tot vom Himmel fielen. An jenem Tag wurden Millionen von Vögeln getötet, und wir waren alle ganz stolz darauf gewesen. War es nicht fantastisch, wie es Mao Zedong gelang, die gesamte Bevölkerung für ein gemeinsames Ziel zu mobilisieren? Erst später erfuhren wir, dass die Vögel, die in der Stadt lebten, immer in der Stadt blieben und deshalb gar keinen Schaden auf den Feldern anrichten konnten. Im Gegenteil: Da nicht nur die körnerfressenden Spatzen von der Aktion betroffen waren, hatten wir anschließend eine Insektenplage erlebt.“ (Yu-Chien Kuan: Mein Leben unter zwei Himmeln. S. 468)

[4] Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. In MEW Band 1, S.385.

[5] Karl Marx: Kritik des Gothaer Programms. In MEW Band 19, S.21.

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